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sehr anpassungsfähig - wenig veränderbar

Wir Menschen sind sehr anpassungsfähig, aber als Erwachsene wenig veränderbar.

Unser Gehirn besitzt eine beeindruckende Plastizität. Es ist äußerst entwicklungs-, lern- und anpassungsfähig, potenziell sehr leistungsfähig, kreativ und intelligent.
- Wir Menschen können (fast) unbegrenzt neue Informationen, Zusammenhänge, Erkenntnisse und Erfahrungswerte speichern.
- Wir Menschen können uns sehr stark an neue Gegebenheiten anpassen - z.B. um Vorteile zu erzielen oder um Nachteile zu vermeiden, um wesentliche Bedürfnisse zu befriedigen, um persönliche Interessen durchzusetzen, um Lust zu steigern oder um Unlust mindern.

Wir Menschen sind aber im Erwachsenenalter nur sehr wenig veränderbar. Warum?
- Wir sind das Ergebnis unserer Erbanlagen und Erfahrungen im bisherigen Leben.
- Eigenschaften, die wir vor allem als Babys, Kinder oder auch Jugendliche aufgrund der Umstände (Verhalten der wesentlichen Bezugspersonen, Ereignisse, Verhältnisse) lernen, uns aneignen, sind stark verankert und somit sehr stabil.
- Der Antrieb für unsere Aktivitäten hat laut moderner Hirnforschung einen unbewussten, subkortikalen (oft sehr alten) Ursprung. Unsere Initiativen stammen weitgehend aus uns (zumindest vorerst) nicht bewussten Quellen, die kortikale Prozesse aktivieren, welche wiederum Kognitionen und Emotionen, also Meinungen und Empfindungen (etwas zu wollen, etwas zu müssen, etwas zu schaffen, etwas nicht zu schaffen, etwas könnte passieren, man werde angenommen oder abgelehnt) entstehen lassen und so bestimmte Verhaltensweisen auslösen.
- Die Evolution hat anscheinend dafür gesorgt, dass geprägte Eigenschaften (verankert in den subkortikalen Gehirnregionen) nicht mehr oder zumindest kaum mehr verändert werden können.
Perineuronale Netze, Zucker-Protein-Komplexe, umgeben bestimmte Zellkörper, Dendriten und Synapsen im Zentralnervensystem. Diese Netze sind an der Entwicklung neuronaler Aktivität, der Signalübertragung und wahrscheinlich auch an der Regeneration von Nervenzellen beteiligt. Sie halten vermutlich gegebene Nervenzellen-Verbindungen aufrecht und sorgen so dafür, dass das Gehirn wesentliche Lerninhalte (vor allem in der Kindheit Gelerntes und mit ausgeprägten Emotionen gekoppelte Informationen) nachhaltig speichert. Veränderungen werden somit eingeschränkt.
Dieser an sich sehr sinnvolle Schutzschirm erweist sich aber vor allem dann als Nachteil, wenn wir durch negative Erfahrungen unvorteilhafte, beeinträchtigende Eigenschaften besitzen, die auch bei großem Engagement kaum zu modifizieren sind.
- Was wir aber können: durch bewusst-willentliche, präfrontal-kortikale Denkprozesse gegen die subkortikalen Prozesse ein Veto einlegen, diese 'overrulen' und (zumindest für eine gewisse Zeit) korrigieren. Wenn wir das richtig, häufig und kraftvoll machen, dann lernen wir stetig dazu, es wird mit Fortdauer immer leichter, rascher und wirkungsvoller funktionieren.
- Jedoch: die zugrundeliegenden Eigenschaften bleiben vermutlich vorhanden. Wir können nur besser, konstruktiver und erfolgreicher damit umgehen.
Zwei wesentliche Bedingungen sind dabei zu beachten:
1. Entspanntheit - denn bei Stress steigt das Risiko, dass die alten, mächtigen Programme wieder voll durchschlagen.
2. Achtsamkeit - denn die ersten unerwünschten Reaktionen können oft noch gut abgefangen und neutralisiert werden ... je stärker negative Emotionen und Stress werden, desto schwieriger wird es, erfolgreich bewusst-willentlich einzugreifen.

Umlernen: Die synaptische Plastizität ermöglicht ein effizientes und nachhaltiges Lernen in bestimmten Entwicklungsstufen - in den sog. kritischen Perioden. Im unreifen Gehirn sind die Neuronen sehr aktiv und feuern wild durcheinander. Der von den Parvalbumin-Zellen ausgeschüttete Nourotransmitter GABA steuert die Hirnplastizität. Nur synchron feuernde Synapsen überleben, die asynchron feuernden werden gehemmt und schließlich gekappt. Am Ende der kritischen Periode sinkt die Fähigkeit des Gehirns, die Synapsen zu stutzen. Perineuronale Netze bilden Bremsen, indem sie sich um die heranreifenden Parvalbumin-Nervenzellen wickeln und die Synapsen an weiteren strukturellen Änderungen hindern = Ende der kritische Periode. Bestimmte Enzyme wie die Chondroitinase lösen die perineuronalen Netze auf und ermöglichen damit den Beginn einer kritischen Periode. In solchen Perioden kann es mit Hilfe eines begleitenden Trainingsprogramms sehr erfolgreich gelingen, wie Versuche zeigen, Sehschwächen oder Ängste abzubauen.
Tiefe Entspannung fördert die Ausschüttung von GABA, um bis zu 27% durch eine einstündige Meditationsübung, was die Plastizität deutlich steigern kann.
Quelle: Prof. Takao K. Hensch, Harvard Medical School in Boston, Spektrum der Wissenschaft, Mai 2016